Warum guckst du so böse?

Ich glaube, eine der Fragen, die ich bisher in meinem Leben am Meisten bezüglich meiner Mimik gehört habe sobald ich in Interaktion mit anderen Menschen trete ist: „Warum guckst du so böse?“ Zur Familie dieser Frage gehören noch weiterhin Sätze wie- „Hab ich dir was getan?!“ „Bist du sauer?“ „Hast du irgendwas?!“ „Lach doch mal!“ -und Ähnliches. Jeder, der nur über eine reduzierte Mimik verfügt, kennt so etwas wahrscheinlich auch aus eigener Erfahrung. Nein- ich habe nichts. Ich bin weder böse, noch sauer oder sonst irgendwas. Ich gucke ganz einfach so. Das ist quasi „mein Gesicht“. Eigentlich bin ich höflich und habe gute Umgangsformen. Ich sage „Bitte“ und „Danke“, „Guten Appetit“ und „Gesundheit“ , halte für andere Leute mit die Türe auf und trage auch gerne mal den Omis aus der Nachbarschaft die Tasche nach Hause. Aber in der Interaktion mit Menschen passiert es mir auch sehr oft, dass ich aufgrund meines Gesichtsausdrucks für böse, arrogant, abweisend, überheblich, desinteressiert oder sonst irgendwas gehalten werde. Gut- ich gebe zu, ich bin nicht gerade ein Hedonist, der freudenstrahlend durchs Leben läuft und ständig jedermann mit guter Laune überschüttet, aber selbst dann, wenn ich innerlich völlig ausgeglichen bin und in Gedanken über meine mentale Blumenwiese hüpfe, wird diese Meldung offenbar nicht an meine Gesichtsmuskulatur weitergegeben und so kommt es immer wieder dazu, dass mein Gesichtsausdruck von meinen Mitmenschen vollkommen verkehrt eingeordnet wird. Meine Worte und Taten reichen in solchen Momenten offenbar für meine neurotypischen Mitmenschen als Nachweis für einen zufriedenen Gefühlszustand nicht aus- es fehlt wohl als wichtige Information das passende Gesicht. Ich für meinen Teil wäre echt froh, wenn die Menschen ein paar weniger Gesichtsausdrücke hätten. Das Deuten von Gesichtsausdrücken und Blicken ist für mich- wie für viele andere Autisten auch- ein Buch mit sieben Siegeln. Gut- ein paar besonders wichtige Gesichtsausdrücke und Blicke habe ich im Laufe der Jahre zu deuten gelernt. Zu erkennen, ob jemand sich freut, ist relativ einfach und ob jemand traurig ist oder Schmerzen hat auch. Ebenso Angst und ob jemand angestrengt nachdenkt (denn dann ist er meistens still). Vielleicht hab ich jetzt gerade noch einen oder zwei von den existenziellen Gesichtsausdrücken vergessen. Aber das war´s aber dann auch so ziemlich. Wenn es um irgendwelche Feinheiten im Blick geht, bin ich ziemlich schnell aus dem Rennen. Ob jemand nun neckisch, irritiert, gelangweilt oder sonst wie guckt, kann ich höchstens raten. So war bei mir auch der Augenpartietest jedes Mal eine absolute Katastrophe. Ab dem 3. oder 4. Bild konnte ich mich zwischen den ganzen Möglichkeiten überhaupt nicht mehr entscheiden, irgendwann sah alles gleich bekloppt aus, ich wusste gar nichts mehr und hab nur noch A genommen. Für mich funktioniert Kommunikation am besten mit klaren Ansagen. Dann weiß ich, worum es geht. Und möglichst ohne irgendwelches verwirrendes Drumherum wie Blicke, Mimiken und Bewegungen, die man noch deuten soll um zu verstehen, worum es geht. Das macht die Interaktion und Kommunikation mit den meisten Mitmenschen unheimlich kompliziert für mich. Ich denke, wenn einfach mehr Klartext gesprochen würde, gäbe es viel weniger Missverständnisse unter den Menschen . Und das wäre echt eine Erleichterung für all die Menschen, die es mit dem Deuten von Blicken und Erfassen von zwischen den Zeilen Gesprochenem nicht so drauf haben. Darauf braucht man aber vermutlich nicht hoffen, weil da draußen die neurotypischen Menschen ganz klar in der Überzahl sind, die diese verwirrende Art der Kommunikation beherrschen und für das Normalste der Welt halten. Und deshalb wie selbstverständlich davon ausgehen, dass alle anderen das auch tun. Am besten finde ich Schreiben. Wenn ich etwas lese, dann habe ich die größten Chancen, es auch richtig zu verstehen. Und kann so lange darüber nachdenken, wie ich will, bevor ich mich äußere. Aber im Alltag kommt man halt auch immer wieder zu persönlichem Kontakt mit Menschen und da ist man halt ganz klar im Nachteil, wenn man die „Sprache jenseits der Sprache“, die von den meisten anderen benutzt wird, nicht versteht und deshalb auch nicht benutzen kann. Ich habe immer wieder im Leben die Erfahrung gemacht, dass es bei der neurotypischen Welt als barsch, hart oder unfreundlich ankommt, wenn man diese Sprache und die ganzen Blicke und Mimiken nicht beherrscht, sondern einfach sagt, was man meint- ohne irgendein spezielles Gesicht dazu zu machen. Ich hatte zum Beispiel an der Arbeit (Altenpflege) das undankbare Amt der Hygienebeauftragten des Wohnbereichs. Und wir bekamen eine Praktikantin, die unter den Armen stank. In den kommenden Tagen kamen nach und nach alle möglichen Kollegen inklusive Stationsleitung auf mich zu und nervten, dass ich etwas unternehmen soll, weil ich ja Hygienebeauftrage war. Und jeder betonte, dass die Frau unter den Armen stank. Also bin ich zu der Frau gegangen, hab ihr Duschzeug, Deo, frische Arbeitsklamotten und meinen Schlüssel zum Umkleide- und Duschraum gegeben und hab gesagt:“ Hör mal zu, du stinkst unter den Armen. Geh dich mal bitte duschen!“ Ich dachte, das wäre der Auftrag gewesen. Am Ende vom Dienst musste ich zu einem „Gespräch“ zur Pflegedienstleitung, weil man „so was nicht sagen darf“ und „das anders verpacken muss“. Sowas habe ich einfach nicht drauf. Irgendwie sind das Diplomaten- Gen, das „nette Gesicht“ und die geheime Sprache, in der man Dinge sagt, ohne sie beim Namen zu nennen bei mir nicht angelegt. Das macht die Kommunikation und Interaktion mit anderen oft sehr schwer und sorgt immer wieder für Mißverständnisse und Probleme im Umgang mit den Mitmenschen. Wir bedienen uns der gleichen Worte- aber wir sprechen nicht wirklich die gleiche Sprache. Also- es bleibt schwierig …

3 Kommentare

  1. Als der Schulfotograf mich ablichten sollte — ich war 8 Jahr alt –, musste er mich viermal dazu auffordern zu lächeln, er war immer noch nicht zufrieden. Ergebnis: Ein völlig fremdes Mädchen. Ich hasse das Bild bis heute.
    Das mit „böse gucken“ kenne ich gut. Glücklicherweise liebt es mein Mann, wenn ich böse gucke, er steht auf Dominanz.

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  2. Oh ja, du sprichst mir aus der Seele. Ich sehe wohl auch immer aus wie der totale Trauerklops selbst wenn ich total gut gelaunt bin. Zumindest wirke ich auch immer sehr arrogant, eingebildet und unnahbar. Ich erinnere mich daran wie ich jahrelang versucht habe zu trainieren wie man wohl fröhlich guckt und wie man lacht mit Zähne zeigen. Es ist gründlich mißlungen, denn außer dämlich gucken kann ich auch heute noch keine anderen Gesichtsausdrücke außer dem wie ich immer gucke. Meine Mundwinkel hängen nunmal nach unten, das ist halt mein Gesicht.

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