Erfolgsgeschichten aus der Zeitung

Mir liegt da was auf dem Herzen. Mal wieder. Das wird sicher noch häufiger vorkommen. Heute geht es mir um Zeitungsartikel. Zeitungsartikel, die Erfolgsgeschichten über behinderte Menschen präsentieren wollen. Da macht ein Carry Jung eine Ausbildung. Kurz zusammengefasst, steht in dem Artikel, dass alle total verwundert waren, weil sie nicht wussten, was Autismus ist. Und erst recht nicht dachten, dass das gar nicht so schlimm ist, dass Carry auf ganzer Linie überzeugen konnte. Er war vor der Ausbildung ziemlich unselbstständig. Doch mit ganz viel Liebe und Unterstützung hat er dann doch noch die Ausbildung geschafft. Und der Betrieb war begeistert. Alle haben ja so viel von ihm gelernt. Das Ende ist allerdings genau das Gleiche, wie in jedem dieser Artikel, die über diese angeblichen Erfolgsgeschichten behinderter Menschen berichten. Am Ende will die nämlich keiner. Ach ich vergaß, Carry ist hochbegabt und machte eine Ausbildung zum Metallwerker. Klingt in meinen Ohren nach genau der richtigen Ausbildung für einen hochbegabten Menschen, aber was hab ich da schon zu sagen. Das ganze wurde organisiert von der Agentur für Arbeit (ach was, das erklärt so einiges). Wir kennen dieses Spiel fast alle, glaube ich. Alles in allem wird dann diese Erfolgsgeschichte als Paradebeispiel für Inklusion angeführt.

Erst einmal zu der Situation selbst: Carry ist jetzt 21, hochbegabt und hat eine Ausbildung zum Metallwerker. Ihn will niemand übernehmen. Welche Glanzleistung der Inklusion soll denn das bitte darstellen? Sein Ausbildungsbetrieb kommentiert das ganze folgendermaßen: Wir können uns den Aufwand nicht leisten, den Carry braucht. Okay. Wo bitte ist hier gleich noch Inklusion zu finden? Weil Carry nun mit, statt ohne Ausbildung arbeitslos ist? Nennen wir das als Gesellschaft erfolgreiche Inklusion? Nennen wir das Kind doch beim Namen: Diese Erfolgsgeschichte ist einfach keine. Sie ist eine weitere Geschichte des Scheiterns, in einer endlosen Debatte um Inklusion und dem Widerwillen der Arbeitgeber (oder wahlweise auch Schulleiter). Es ist die traurige Realität der meisten von uns. Halten wir den Mund, werden wir gemobbt und verbiegen uns, bis wir zusammen brechen. Machen wir den Mund auf, will uns keiner, weil wir wertlos sind. Nein, nicht wertlos, nur übersteigen die tatsächlichen Kosten den reellen Wert, den wir darstellen. Heißt, wir kosten mehr, als wir einbringen und damit sind wir wirtschaftlich nicht rentabel. Das wir dabei permanent unter Wert verkauft werden, ist nochmal eine andere Geschichte.

Das ist ein Missstand unserer Gesellschaft, gegen den viele von uns kämpfen. Um fehlende Anerkennung, um ein Recht darauf, zu bekommen, was wir benötigen, damit wir wertvolle Arbeit leisten können. Niemand verlangt vergoldete Toiletten (und wer dies tut, wird gleich bezichtigt, Autist zu sein. Buh!), alles was wir verlangen, ist Menschenwürde. Würde, ein Recht das angeblich jeder Mensch mit seiner Geburt erhält. Manchmal halte ich das aber für ein Gerücht. Wir kämpfen um Würde und bekommen einen Arschtritt. Aber das ist ja noch nicht alles!

Denn jetzt kommt der Punkt, der mich wirklich massiv stört.

Was verkauft uns eine Erfolgsgeschichte dieser Art denn eigentlich wirklich? Was vermittelt sie uns emotional? Was geschieht mit der Psyche, wenn man von Artikeln dieser Art bombardiert wird? Und das gilt nicht nur für Autisten, sondern auch für jeden anderen, der im nächsten Umfeld zu einem Autisten lebt, insbesondere dem Vormund! Ich kann natürlich nur beschreiben, was es mit mir macht. Es wird sicher andere geben, die anderer Meinung sind und das ist auch vollkommen okay. Aber ich bin auch mit Sicherheit nicht die einzige, die von diesen Artikeln massiv getroffen wird.

Ein wichtiger psychologischer Effekt ist, dass wir glauben, was wir immer wieder hören. Je öfter wir es hören, umso fester glauben wir daran. Oder in diesem Fall eben lesen. Selbst wenn wir wissen, dass das, was wir da immer und immer wieder lesen, falsch ist, glauben wir irgendwann daran. Dazu gibt es tausende psychologische Studien, dass ist empirisch bewiesen. Das dieser Effekt existiert, ist auch kein Geheimnis. Wenn ich nun immer wieder Erfolgsgeschichten lese, die keine sind und an deren Ende alles beschissen ausgeht, dann glaube ich das irgendwann. Irgendwann überschreite ich den Punkt, an dem ich die gelesenen Artikel zu meiner eigenen Realität mache. Und das was der Artikel sagt, indem er eine Geschichte des Scheiterns als Erfolgsgeschichte verkauft, ist eigentlich:

Das ist das Beste, was du schaffen kannst! Das ist das Maximum.

Das ist Erfolg! Deine Zukunft wird die Arbeitslosigkeit sein.

Und das brennt sich ein. Darauf folgt ein weiterer schöner psychologischer Effekt. Die self-fullfilling prophecy. Wer die Geschichte zu Troja kennt und ein bisschen mit dem Kassandra-Effekt vertraut ist, der wird schnell verstehen, was ich sagen will. Indem ich diese Geschichte zu meiner eigenen mache, weil ich sie immer und immer und immer wieder lese und irgendwann einfach daran glaube, bestimme ich mein Schicksal damit. Diese Artikel werden meine Realität. Denn ich handle nun so, dass sich die Zukunft so erfüllt, wie ich sie erwarte. Und was erwarte ich? Die Arbeitslosigkeit, genau. Wie soll ich also aus dem Loch heraus kommen? Wie soll ich selbstbewusst in eine Ausbildung gehen, wenn ich glaube, dass das alles sowieso nichts wird? Wie soll ich selbstbewusst in ein Bewerbungsgespräch gehen, wenn ich permanent Angst davor habe, wieder abgewiesen zu werden? Wenn ich damit rechne, abgewisen zu werden und dann auch abgewiesen werde, aktiviere ich mein Belohnungszentrum und dann wird alles verstärkt. Die Haltung brennt sich ein, mein Schicksal scheint nun fest zu stehen. Denn ich sehe ja, was die Erfolgsgeschichten meiner Leute sind. Wie viele Autisten sind auf dem ersten Arbeitsmarkt? 5%? 10%? Und wieso kenne ich niemanden? Wo sind diese Leute?

Ganz ehrlich, ich will nicht mehr. Ich will richtige Erfolgsgeschichten lesen, oder Geschichten des Scheiterns auch als solche deklariert sehen. Ich will keine Euphemismen mehr, die Scheiße schön reden und mich dann doch nur in die Arbeitslosigkeit drängen. Ich will raus aus dieser Hilflosigkeit und selbstständig sein. Immer und Überall. Ich möchte nicht länger eingeschüchteter Bittsteller sein, der auf Gnade hoffen muss. Ich will es nicht trotz meiner Behinderung schaffen, ich will es wegen meiner Behinderung schaffen, sie macht mich nämlich auch innovativ! Ich bin nicht minderwertig! Ich bin ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, das wertvolle Arbeit zum Gemeinwohl beiträgt. Ich bin kein Kostenfaktor, ich bin ein Mensch mit Gefühlen und mit Stärken und Schwächen, so wie jeder andere verdammte Mensch auf diesem Planeten auch!

Wo sind die echten Erfolgsgeschichten? Wo sind die Geschichten über behinderte Menschen, die es wirklich geschafft haben? Die dem Kreislauf entkommen konnten? Die ein glückliches Leben führen und sich einrichten konnten? Wo sind diese Geschichten über diese Menschen, die einfach nur zufrieden ihrer Arbeit nachgehen, ein gutes Privatleben haben, so wie sie es sich wünschen und denen es finanziell gut geht? Menschen ohne Existenzängste? Die ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten?

Und wenn dann doch mal eine Geschichte über einen solchen Menschen auftaucht, dann sehe ich, was all die anderen angeblichen Erfolgsgeschichten angerichtet haben. Ein glücklicher Autist ist unvorstellbar geworden und es hagelt Bedrohungen, die Diagnose wird aus Fernsicht, ohne persönlichen Kontakt, abgesprochen, es wird beschimpft und beleidigt und die Diskussion um die Modediagnose flammt wieder auf. Dann startet er wieder, der Kontest des Leidens und es wird wütend und polternd ausgelotet, wer der Gewinner sein soll. Alle überschlagen sich in ihren Leidensgeschichten.

Ich habe es so satt!

Vielleicht gehe ich endgültig aus allen Gruppen raus, ich will das nämlich nicht mehr glauben. Ich hab genug.

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12 Kommentare

  1. Pingback: Froschs Blog: » Im Netz aufgefischt #222

  2. Ich blende mal das aus, was momentan nicht so gut läuft, aber bis zum Job ist mein Leben vielleicht auch eine Erfolgsgeschichte.

    Ich hatte genauso die Probleme in der Schulzeit, gerade mit Sport und Werkunterricht, war aber sprachlich ganz gut und in Mathematik. Ich habe die Nachprüfung in der 9. Klasse bestanden, und trotz miserabler Zwischennoten ein gutes Abitur hingelegt (Notenschnitt 2,7), mit Leistungskurs Chemie und Französisch. Ich wollte sofort studieren und obwohl ich in Physik schlecht war, hab ich mich auf Meteorologie gestürzt. Weil das in Deutschland eher Physik mit Nebenfach Meteorologie ist, wechselte ich nach zwei Semestern nach Innsbruck und fing noch mal an. Ich überwand die schwierigen Physikprüfungen nach vielen Fehlversuchen doch noch, erklärte dem Physikprofessor vor der entscheidenden Prüfung, dass ich große Versagensangst hatte, und kam irgendwie durch, ob es die Offenheit war, weiß ich nicht.

    Irgendwann stand ich an dem Punkt, wo ich entweder 20 Prüfungen in einem Semester machen musste, oder das Studium hinschmeißen bzw. in den Bachelor hätte umsiedeln müssen. Ich hab die Zähne zusammengebissen und pro Woche eine Prüfung gemacht, das ganze Semester durch, und bis auf zwei alle bestanden – beide Male versagt, weil ich nicht mehr die Energie fürs Lernen hatte, bzw. einmal zu viel Lärm während der Prüfung war. Aber…. ich hatte es geschafft, konnte mir mein eigenes Diplomarbeitsthema wählen, hab das durchgezogen, obwohl es viel Programmieraufwand bedeutete, und wurde gelobt vom Betreuer und emeritierten Professoren, die sich freuten, dass ein Student 130 Jahre alte Fachzeitschriften aus der Institutionsbibliothek zum Heranziehen als Referenz durchlas.

    Ich hab die Arbeit mit viel Blut, Schweiß, Tränen und Burnout am Ende (ich sag heute mal Meltdown dazu, der Wochen dauerte) erfolgreich abgegeben, auf Englisch, ohne Korrekturleser, die alle vorzeitig absprangen, aber ich habs geschafft. Ich hab auch die Prüfung mit Auszeichnung bestanden, trotz Nervenkitzel.

    Und bereits während des Studiums hatte ich durch mein sehr aktives Schreiben in Wetterforen immer wieder Jobangebote durch Wetterfirmen, die ich natürlich ablehnte, weil ich einen Abschluss haben wollte.

    Ich weiß nicht, ob ich den selben Werdegang MIT einer frühzeitigen Diagnose gehabt hätte. Vielleicht hätte ich mir das alles gar nicht zugetraut. Gut, ich hätte vielleicht auch festgestellt, dass Schichtdienst, Teamarbeit und hohe Flexibilität Anforderungen sind, die eher autismus-ungeeignet sind, aber ich bin mit Sicherheit nicht der einzige Wetterfroschaspie – wenn man sein Spezialinteresse leben kann, kann man gewisse autismusfeindliche Faktoren ausblenden.

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  3. Eine Erfolgsgeschichte? Ich versuche es mal. Eine Diagnose habe ich zwar nicht, laut meiner Frau deutet jedoch einiges darauf Asperger zu sein.
    Damals in der Schule war ich eigentlich immer der Trottel, meine Zensuren waren mehr als bescheiden, gerade den theoretischen Fächern. Sport und Werkunterricht waren die Fächer in den denen es Zensuren gab die besser waren wie drei und vier. Dank meiner damaligen Klassenlehrerin mußte ich nie ein Jahr wieder holen.
    „Freunde“ hatte ich, kam mir in der Gruppe von Freunden oft als drittes Rad am Wagen vor, weshalb ich dann auch gern viel Zeit allein verbracht habe.
    Wie ich meine Ausbildung nach der Schule angefangen habe, änderte sich plötzlich vieles. Es gab zwar weiterhin die noch die Berufsschule, nur war die immer nur eine Wochen und zwei Wochen war ich im Betrieb. Und genau da konnte ich meine praktischen Fähigkeiten einsetzen und noch weiter verbessern. Für kam es immer zu eine neuen, sehr merkwürdigen Situation. Ständig war ich der schnellste und hatte zum Schluß meist das beste Werkstück. Irgendwann kommt man sich dann wieder etwas blöd vor, was von meinen Kollegen und Ausbildern sehr honoriert wurde und mir vorgeschlagen wurde meine Ausbildung zu verkürzen. Das hatte ich dann abgelehnt, weil klar war, ich werde nicht übernommen, da unser Betrieb schließen wird. Nach der Ausbildung ergab sich dann für mich die Gelegenheit Lokführer zu werden, ein in meinen Augen ein sehr blöder Beruf. Nach drei Jahren warf ich den Job hin und begann dort zu arbeiten, wo ich nach dreizehn Jahren noch immer bin. Da darf ich wieder das machen was ich gelernt habe und wozu ich wohl auch berufen bin. Handwerkliche Tätigkeiten, Fehler beheben an sehr großen und komplexen Maschinen. Ich will da nicht weiter in Detail gehen, aber in kann in dem aufgehen was ich mache und ich erkenne Zusammenhänge und Funktionen an den Anlagen oft schneller wie jeder andere, ohne groß Unterlagen und Zeichnung durchwühlen zu müssen. Sehr gut für mein Ego ist, wenn Kollegen die zwanzig Jahre mehr Berufserfahrung haben, zu mir kommen und mich nach Rat fragen. Ich glaub das ist dann mein kleiner Erfolg.

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  4. Danke, großartig geschrieben. Das passt auch gut zu meinem Beitrag davor. Nämlich das hier:

    „Halten wir den Mund, werden wir gemobbt und verbiegen uns, bis wir zusammen brechen. Machen wir den Mund auf, will uns keiner, weil wir wertlos sind.“

    Sobald man nämlich Klartext redet, sieht der Arbeitgeber nur die extra Mühen, die er gegenüber dem Mitarbeiter aufwenden muss, die er bei „normalen“ Mitarbeiter nicht hätte. Dabei ist das bisweilen nur ganz wenig, was er mehr machen müsste, was sogar selbstverständlich ist (Anreize bieten, Wertschätzung, bedeutungsvolle Aufgabe, Vertrauen statt Kontrolle), und was ist ein Einzelbüro mehr, wenn der Mitarbeiter dafür extrem produktiv ist? Hier muss einfach mehr Bewusstsein dafür geschärft werden, dass hochbegabte Menschen nicht ständig unterfordert werden.

    (Ich hoffe, ich hab dich richtig verstanden)

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    • Ja, war jetzt nicht mein Hauptthema, aber ist schon okay^^ Mir ging es im Grunde nicht um die äußeren Umstände, sondern was das alles psychisches mit mir macht und wie ich damit dann wieder das außen begünstige. Dass es eine Teufelsspirale ist. Denn wer schon völlig zerstört ist, innerlich, der tritt auch nicht so auf, beim outing, wie ein selbstbewusster Mensch, der die Sache schon wuppt, sondern eben wie ein gedemütigter, eingeschüchteter Bittsteller. Und das letztere nicht kriegen was sie wollen, in unserer Gesellschaft, muss ich wohl nicht näher ausführen, oder?

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  5. Tja, zu den Fragen, wo sind solche erfolgreichen Autisten, würde ich mich ja selbst zählen. Einerseits, weil ich nicht finde, dass mein Leben schlecht ist natürlich, aber andererseits auch, weil ich ein Studium habe, eine funktionierende Beziehung und eine Arbeit, wo darauf geachtet wird, dass es mir gut geht (auch wenn noch nur als studentische Hilfskraft und nicht erster Arbeitsmarkt, aber ich studiere ja auch noch). Ich wäre wohl am ehesten in der Lage, bei diesen Fragen mit Ja zu antworten.

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