Über das Bedürfnis nach Rückzug

Seit meiner Diagnose- und vor allem, seit ich mich endlich mit den sozialen Netzwerken angefreundet habe (das hat bei mir wirklich sehr lange gedauert)- habe ich viele verschiedene Menschen aus dem Autismus Spektrum kennen gelernt und immer wieder festgestellt, wie facettenreich das Autismusspektrum ist und wieviel Wahrheit in dem Satz „Kennt man einen Autisten, dann kennt man genau EINEN Autisten“ liegt.

Ich kenne viele erwachsene Asperger Autisten, die Familie oder Partnerschaften haben, aber ich kenne  auch sehr viele, die alleine leben und wenig bis gar keine sozialen Realkontakte haben.

Zu denen gehöre ich auch.

Und ich schätze auch mal, dass sich daran nicht mehr viel ändern wird in meinem Leben.

Und es stört mich eigentlich auch nicht weiter- jedenfalls meistens.

Mein einziger regelmäßiger Sozialkontakt in der Realwelt ist meine langjährige Freundin Klaudi, die mich einmal in der Woche besucht. Und damit liegen wir bei einem ganz guten Schnitt, denn es hat auch Jahre gegeben, in denen ich unsere Treffen wochenlang herumgeschoben habe, weil ich einfach nicht die Kraft zu einem Treffen hatte.

Mit dem wöchentlichen Treffen habe ich für mich persönlich schon einen großen Schritt nach vorne gemacht.

In den vierzig Jahren vor meiner Diagnose habe ich eigentlich immer mit (zumeist NT) Menschen zusammengelebt.

 

In den Jahren von 20 bis 40 habe das Modell Beziehung und/ oder Ehe zu Genüge ausprobiert, weil ich irgendwie immer dachte, das muss so sein.

Und es hat auch das eine oder andere Mal geklappt, einmal sogar 10 Jahre. Das lag aber vermutlich wohl auch ein bisschen daran, dass ich zu der Zeit junge Mutter war und von daher mit ganz anderen Dingen beschäftigt als in den Beziehungen, die danach noch so kamen.

Kann auch sein, es lag daran, dass ich zu der Zeit noch gar nichts von meinem Autismus wusste und irgendwie das Bild im Kopf hatte, das ne Beziehung oder ne Ehe einfach zum „Erwachsen- Sein“ dazugehört und dass ich das gefälligst auch auf die Reihe zu kriegen habe, wenn ich keine kranke Versagerin sein will.

Also kann ich zumindest sagen, ich habs versucht.

 

Heutzutage könnte ich mir das ehrlichgesagt nicht mehr so wirklich vorstellen.

Oder vielmehr- ich wüßte nicht, wie es funktionieren soll. Alleine schon der Gedanke, jeden Tag mit einem Menschen zu reden, sich mit ihm auseinander zu setzen, dauerhaft physische Nähe zu haben mit allem, was sie mit sich bringt… Bewegungen, Geräusche, Wörter, Farben, Eindrücke… das kann ich in Ausnahmefällen vielleicht mal einen oder zwei Tage….aber dann ist bei mir wirklich Feierabend und ich brauche mindestens doppelt so lange, um wieder davon „runter zu kommen“, auch wenn ich denjenigen mag.

 

Dann brauch ich erst mal ganz intensiv meine Rituale, meine Routinen und die Beschäftigung mit meinen 5 Katzen und die Stimme von Hermann Hesse oder von Gerd Westphal im Hintergrund um meinen Kopf zu ordnen und ruhig zu werden.

Je älter ich werde, umso mehr strengen Menschen mich an. Also ich meine „die da draußen“.

 

Ich hab irgendwie manchmal das Gefühl, es hat bei mir sehr stark mit der späten Diagnose zu tun, dass ich heutzutage so ein enormes Bedürfnis an Rückzug habe. Fast so, als müsste ich Jahre des Rückzugs, den ich nie wirklich hatte, nachholen, damit mal irgendwann Ruhe in meinem Kopf ist.

Wenn man 40 Jahre im Leben herumgestolpert ist, ohne zu wissen, was mit einem los ist, hat man eine Menge Erlebnisse / Erfahrungen angehäuft, über die man mit seinem neuen Wissen über sich selbst noch mal nachdenken will/kann/soll/ muss.

Oder vielmehr ist es so: die Gedanken und die Bilder im Kopf tauchen einfach auf und wollen neu beleuchtet werden…manchmal um Frieden mit mir selbst zu machen, manchmal, um andere zu verstehen…oder um überhaupt zu verstehen, was da so alles passiert ist im Leben.

Beinahe ein bisschen so, als müsste man einige Kapitel im Buch des Lebens noch mal neu schreiben und all das Geschehene erst mal abarbeiten, bevor wieder genug Kapazitäten für neues Erleben in der Realwelt im Kopf frei werden. Die zur Verfügung stehenden Reserven reichen zwar aus, um den Alltag einigermaßen hinzubekommen, aber alles, was darüber hinaus geht, ist pure Anstrengung.

Anfang des Jahres habe ich im Zuge der guten Vorsätze, die man sich so zum neuen Jahr macht einen Anlauf gestartet, “mehr unter Menschen“ zu gehen und bin in ein ganz nettes Cafe´ gegangen, wo ich auch jedesmal ins Gespräch mit anderen Menschen (vermutlich alle NT) kam. Das war mir aber ganz einfach zu viel. Zu viel Menschen, zu viel Worte, zu viel (Neben-) Geräusche, zu viel Bilder im Kopf…und der dringende Wunsch, lieber zuhause bei meinen Katzen zu sein.

Warum soll ich mir sowas heutzutage noch antun, wenn es überhaupt nicht meinem Wesen entspricht. Ich sitze eben lieber zuhause am Computer und tausche mich mit anderen Autisten im Internet aus, als in der Realwelt unter irgendwelche Menschen zu gehen, mit denen ich eigentlich überhaupt nichts anfangen kann.

Dieses Jahr werde ich genau 1 Mal auf eine Abendveranstaltung gehen, weil ich das Anfang des Jahres mit meiner Freundin abgemacht habe. Ich denke, ich krieg das hin…morgen ist ja erst der 1. Juli.

 

 

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Das Leid mit der Depression

Am besten könnte man über Depressionen schreiben, wenn man gerade depressiv ist. Dann ist man „mittendrin und dabei“. Wer knackedepressiv ist, macht das aber nicht. Er macht gar nichts mehr, außer im Bett zu liegen und zu grübeln. Zu weinen, ohne Außenstehenden erklären zu können, warum. Oder er ist rastlos, bekommt kaum Schlaf. In dem Fall kann er sich aber bestimmt auch nicht darauf konzentrieren, seine Depressionen in Worte zu fassen, weil die Konzentration bei dieser Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen wird.

Bei mir lag der erste Fall vor. Antriebslosigkeit, Freud- und Interessenslosigkeit, Schlafstörungen. Nichts mehr fühlen können. Suizidgedanken, konkrete Suizidpläne bis kurz vor Ausführung. In der schlimmsten Phase (schwere depressive Episode) sieht es so aus: Du wachst auf und der erste Gedanke ist, dass du sterben willst. Auch weitere Gedanken des Tages und der weiteren Tage und Wochen drehen sich hauptsächlich darum. Dann machst du dir keine Vorwürfe mehr, findest nicht mehr nur dich selbst und die Umwelt zum Kotzen. Es ist egal was ist und wird, du willst einfach nicht mehr sein. Dich berührt nichts mehr, du fühlst nichts mehr außer Apathie. Du kannst dir gar nicht mehr vorstellen, dass es mal aufhören könnte. Und du erinnerst dich nicht mehr, was für ein Mensch du vor der Depression warst. Alles wird wie durch Milchglas wahrgenommen.

Aber es hört auf. Immer. Deswegen darf man die Hoffnung niemals aufgeben. Und dann willst du, dass es nie wiederkommt und würdest alles dafür tun, dass du dich weiterhin „normal“ fühlen kannst.

Depressionen und Autismus treten sehr oft zusammen auf (sind komorbid). Würde ein Mensch ohne Autismus seit fast zwei Jahrzehnten jedes Jahr depressiv werden, käme bei ihm irgendwann die Überlegung, einen Besuch bei einem Therapeuten abzustatten. Oder zumindest, dem Hausarzt sein Leid zu klagen. Natürlich hat man in unserer Gesellschaft Angst, durch das Depressions-Label als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Deswegen ist es für die meisten Menschen mit großer Überwindung verbunden, sich beim Arzt als depressiv zu outen (oder überhaupt in seinem näheren Umfeld über das Problem zu sprechen). Meine Phasen dauerten immer einige Monate, die letzte Phase ging allerdings über neun Monate und war schlimmer als je zuvor.

Autistische Menschen haben meistens keine gute Selbstwahrnehmung. Deswegen kann man davon ausgehen, dass sie erst merken, dass etwas nicht stimmt, wenn es fast schon zu spät ist (oder gar nichts merken). Im Glücksfall fällt nahestehenden Personen auf, dass der Autist irgendwie komisch ist, sich nicht wie sonst verhält. Ein Mensch mit Autismus kann sich in den seltensten Fällen so gut bemerkbar machen, dass beim Gegenüber auch wirklich ankommt, was für Probleme er hat.

Bezüglich der Medikation wirken Antidepressiva häufig nicht so, wie sie sollen (paradoxe Wirkung), oder sie wirken gar nicht. Im besten Fall probiert man, mit Hilfe des Arztes, verschiedene Präparate aus, bis man etwas Passendes gefunden hat. Meistens ist eine geringere Dosis notwendig, als normalerweise von Ärzten empfohlen.

Im Jahr 2020 wird Depression übrigens, laut Weltgesundheitsorganisation, weltweit die zweithäufigste Ursache von gesundheitlichen Beeinträchtigungen sein (http://www.who.int/mental_health/management/depression/definition/en/).

Freundschaften und KlarNetAut

Vor gar nicht langer Zeit habe ich resigniert. Immer, wenn ich irgendwo neu angefangen habe (Schule, Universität, Arbeitsplatz) hatte ich eine große Hoffnung: Ich würde endlich auf Menschen treffen, die mich verstehen und so ticken wie ich. Ich würde Freunde finden. Dieses Mal würde ich mich noch mehr anstrengen, noch mehr auf die Menschen zugehen, mehr reden, mich nicht mehr verkriechen (und, und, und). Der letzte Versuch, Anschluss zu finden, sah folgendermaßen aus: Ich hatte einen Job ergattert und wurde nach der Uni eiskalt in die Berufswelt geschmissen.

Um zu Sozialkontakten zu kommen, hatte ich mir viel vorgenommen. Ich blieb am Ball und habe es nach einiger Zeit tatsächlich geschafft, mich mit ein paar anderen Kollegen auch außerhalb der Arbeit zu treffen. Jedoch habe ich schnell gemerkt, dass es seltsam war. Etwas stimmte nicht, ich passte und gehörte nicht dazu. Die Themen, über die sie beim Mittagessen sprachen, fand ich furchtbar langweilig. Sie dachten anders als ich, sie ließen sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Untereinander konnten sie aber sehr wohl etwas miteinander anfangen. Also war alles wie immer. Ich gehörte nicht dazu, OBWOHL ich mittendrin und dabei war. So habe ich innerlich die „Sozialkontaktsuche“ gekündigt, es war mir mittlerweile auch egal, ob ich an den Aktivitäten teilnahm oder nicht. Es brachte mir nichts, es war nicht meine Welt.

Einige Monate später sollte ich im Internet die Antwort finden – und zwar durch Zufall. Ich bin auf einen Artikel gestoßen, in dem „weiblicher“ Autismus beschrieben wurde. Sowie die Tatsache, dass dieser oft unerkannt bleibt, weil sich Asperger-Frauen von autistischen Männern unterscheiden und weniger auffallen. Mir wurde klar, dass es tatsächlich noch andere Menschen gab, die mir im Denken, Erleben und Verhalten ähnelten! Ich war kein Alien von einem anderen Planeten, mir fehlte kein Gehirnteil. Ich war Asperger-Autistin und ich war damit nicht alleine.

Die Kontakte, die ich mittlerweile geknüpft habe, geben mir sehr viel. Probleme, die andere Menschen gar nicht kennen, werden verstanden. Man muss sich nicht erklären. Und es ist alles andere als langweilig mit meinen Freunden, von denen ich einige auch im „realen Leben“ getroffen habe.

An meine Kleinkindzeit kann ich mich nicht erinnern. Ich soll aber still und sehr schüchtern gewesen sein. Laut der Aussage meines Vaters soll es aber zwei Freundinnen gegeben haben. Während der Grundschulzeit hatte ich eine beste Freundin, mit der ich mich fast jeden Tag getroffen habe. Später, auf dem Gymnasium, hatte ich wieder eine beste Freundin, wobei die Freundschaft ein paar Jahre hielt. Ich denke heute noch ab und zu wehmütig an diese beiden Mädchen, die jetzt, wie ich, erwachsene Frauen sind. Ich frage mich, warum sie sich über die Jahre so verändert haben, während ich „im Kern“ gleich geblieben bin. Heutzutage hätten wir uns nichts mehr zu sagen. In den weiteren Jahren auf dem Gymnasium hatte ich immer mal wieder eine beste Freundin. Auffällig war, dass sie immer nur ein paar Jahre blieben und dann weggezogen, oder auf eine andere Schule gewechselt sind. Ich habe nie einer Clique angehört, war nie Fan einer Band oder einer Stars, das ganze Fan-Getue fand ich lächerlich. Irgendwann war ich in der Oberstufe, ich war ganz allein. Ich habe auch nicht mehr versucht, mich in den Klassenverband zu integrieren. An diesem Punkt habe ich die Brücke hinter mir abgebrochen, der Schule, dem Elternhaus und der Stadt den Rücken gekehrt.

Heutzutage weiß ich immer noch nicht, wie man eine Freundschaft anbahnt und aufrecht erhält. Wann muss man sich beim anderen melden? Ist der/die andere überhaupt auf der Suche nach neuen Freunden? Bei meinen Sozialkontakten hatte ich immer Angst, zu aufdringlich oder übertrieben enthusiastisch zu wirken. Es könnte ja sein, dass der andere gar nichts von mir wissen will und zu allen so nett ist. Also habe ich mich nicht gemeldet, was vermutlich falsch war. Aber das fand ich immer noch besser, als abgelehnt zu werden.

Ich unterscheide sehr deutlich zwischen Bekannten und Freunden. Bekannte habe ich im Moment einige, die ich durch meine Beziehung kennengelernt habe. Bei Freunden (zu denen auch meine Beziehung zählt) muss ich mich nicht verstellen.

Das Klischee des Autisten, der sich nicht nach Kontakten sehnt und sich selbst genügt, trifft weder auf mich, noch auf andere Autisten, die ich kenne, zu.